Welpenschutz? -Ein gefährliches Mißverständnis!
Alltägliche Erfahrung
Mit meiner Dreierkoppel Tibet Terrier schlendere ich durch den heimischen Wohnungswald. Die Seele baumeln lassen, bedeutet das für mich, vorbeugen jedem Streß. Auch wenn der Wald nicht
Landschaftsschutzgebiet wäre: Immer führe ich meine Tibeter an den Rolleinen. Sie geben meinen Hunden Bewegungsfreiheit - und mir Sicherheit. Zwar verlangt das Jonglieren mit drei oder vier
Rolleinen immer eine zirkusreife Nummer, wie meine Hundebekanntschaften stets bemerken. Aber zu nah durchschneiden verkehrsreiche Straßen die grüne Idylle, zu unberechenbar verhält sich ein Rudel
- nein, Pack muß es bei mir heißen, belehrte mich Frau Trumler persönlich. Und zu viele läufige Hündinnen malträtieren Nase und Nerven aller Rüden in der Umgebung, auch bei meinem Terry.
Geruhsam lasse ich meine Tibeter nach Herzenslust schnüffeln. Dazu borge und stunde ich mir die nötige Zeit. Versonnen schaue ich dabei dem Gräserkauen meiner Vierbeiner zu - noch keiner konnte
mir überzeugend erklären, was das soll. Nur daß meine Langhaarigen im Wettbewerb gegen jedes Bergschaf antreten könnten.
Aus den Augenwinkeln sehe ich einen Dackel um die vor mir liegende Wegecke biegen, offensichtlich abgeleint. Munter trabt er uns entgegen. Verflixt, wo bleibt denn ..? - da stiefelt auch Frauchen
um die Kurve, in beträchtlichem Abstand von ihrem Schützling, sorglos, unbesonnen. Ich aber kenne meine Pappenheimer! Vorsorglich hole ich meinen Rüden an der Rolleine nahe an mich heran.
Es war ein übellauniger alter Dackelgrimmbart, der meinem naiven Jungrüden die ersten „Flötentöne“ beibrachte. Mein Youngster, noch Eierschalen hinter den Ohren, hatte sich durchaus höflich, aber
eindeutig in Spielabsicht dem Rauhhaar genähert - und prallte vor den gefletschten Hauern und dem bösartigen Knurren zurück. Gegen einen gleichaltrigen Dackelmischling focht der halbstarke Terry
dann seinen ersten Kampf aus. Der Schmerzensschrei eines der Kombattanten kam nicht von meinem Tibeter, da bin ich mir ganz sicher.
Doch wir trennten, was wohl falsch war, beide Raufhähne, bevor das Gefecht entschieden war - unsere Nerven! Immerhin lernte ich so die verschiedenen Phasen eines Rüdenduells aus eigener
Anschauung kennen, bevor mir Frau Feddersen-Petersen den wissenschaftlichen Überbau dafür lieferte.
Ob Terry seit dieser Zeit Dackel als Rasse erkennen kann oder einfach nur ein ausgeprägtes Dominanzverhalten gegen alle Rüden mit gleichem Anspruch zeigt, da will ich mich nicht festlegen.
Instinktsicher aber ist er. Vier Sekunden dauerte ein Duell mit einem starken, ihn anpöbelnden TT-Rüden. Dann trennten sich beide gleichzeitig - auf der Basis eines Nichtangriffspakts durch
Ignorieren. Nicht die geringste Macke hatten sie sich zugefügt und sofort erkannt, daß sie gleichstark waren. Vernünftiger als etliche Menschen!
Nun denn, es nähert sich also ein Rauhhaardackel meinem Pack, ohne Leine, forsch und dumm. „Rüde oder Hündin?“ Zurecht erkennt des Dackels Frauchen meinen Ruf als Warnung. Immerhin gelingt es
ihr, das widerstrebende Krummbein zu erwischen und anzuleinen. „Der hat doch Welpenschutz“, versucht sie dabei mich - und damit genau den Falschen - zu beruhigen.
Dieser Bursche da Welpe? Ich bin ja kein Dackelfachmann, doch - jung mag der Rauhhaarige sein, aber niemals noch Welpe. Und Schutz? Wer oder was soll schützen? „Wie alt ist er denn?“, frage ich,
um mein Staunen zu bemänteln. „Er wird bald sieben Monate“, gibt Frauchen in Besitzerstolz Kunde. Fast verschlägt es mir die Sprache.
Dann aber siegt meine pädagogisch Routine - eine Berufskrankheit. „Ich glaube, mit dem Welpenschutz vertun Sie sich!“ Ich formuliere vorsichtig und höflich. „Nein, nein! Der hat Welpenschutz! Bei
allen Hunden“, erwidert Dackels Frauchen, und ein ärgerlicher Unterton ist unüberhörbar. Als ich gar insistiere, beharrt sie regelrecht empört auf ihrem Anspruch auf Welpenschutz. Dann zieht sie
ab, deutlich im Bewußtsein, es diesem Ignoranten gegeben zu haben. Ich aber frage mich, woher sie diesen Unsinn von „Welpenschutz“ hat.
Verhaltensforschung
Zwar vertraue ich meiner eigenen Erfahrung und Beobachtungsgabe. Aber immer wieder halte ich es für notwendig, beides mit den Kenntnissen von Fachleuten in Verbindung zu bringen. Und hier sind
Verhaltensforscher Eberhard Trumler und Erik Zimen, dazu noch Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen von der Uni Kiel die ersten Adressen. Alle drei gewinnen ihre Kenntnisse aus der Arbeit mit einer
breiten Palette verschiedenster Hundetypen und -rassen. Das reicht von Wildhunden wie Wölfe und Schakale über urtümliche Rassen wie Dingos, Elch- und Bärenhunde bis zu ganz gewöhnlichen
Haushundrassen wie Schäferhunde, Königspudel oder Windhunde.
Sogar einen „Kampfdackel“ halten sie in Wolfswinkel, wie Frau Trumler scherzhaft sagt: Einen Mischling aus Shiba Inu (jap. Bärenhunde), Bullterrier und Dackel. In Kiel hat man zudem mit Puwos
gearbeitet, Kreuzungen aus Königspudel und Wölfen.
Eigentliche Welpenzeit
Zunächst läßt sich ein sechs oder gar sieben Monate alter Junghund nicht mehr als Welpe betrachten. Folgt man Trumler und Zimen, kann man im engeren Sinne bestenfalls die ersten drei Monate als
Welpenzeit rechnen. Nimmt man gar den Umgang der Elterntiere mit Nachwuchs in einem intakten Rudel zum Maßstab, stellt sich bereits nach 8 Wochen eine wichtige Veränderung ein. Bisher durften die
Welpen beliebig über die Stränge schlagen und sich den Alten gegenüber fast alles herausnehmen. Jetzt aber werden sie erzogen, und das ausgesprochen autoritär. So werden aus „Babys“ Kleinkinder.
Nicht von ungefähr rät Trumler genau zu diesem Zeitpunkt den Züchtern, ihre Welpen abzugeben.
Rangordnungsphase/Rudelfunktion
Ab drei Monaten beginnt dann im Rudel die „Ausbildung“ zum vollwertigen Rudelgehilfen, und damit verbindet sich auch die Eingliederung in die Rangordnung. Der Junghund wandelt sich damit zum
„Kind“ und „Jugendlichen“, wobei er bereits mit 5 bis 6 Monaten als vollwertiger Jagdpartner der Alttiere akzeptiert wird. Und nach Vollendung des 6. Monats setzt Trumler die „Pubertät“ an, das
entspräche einem menschlichen Alter von 12-14 Jahren. Mit der ersten ausgeprägten Hitze oder Deckfähigkeit, bei Dingorüden z.B. schon mit 7 Monaten, tritt der Hund in die Reifephase, ohne dabei
aber schon voll erwachsen zu sein.
Diese Einteilung verschiebt sich, so Trumler, je nach früh- oder spätreifer Rasse. Dackel gehören zweifellos zu den frühreifen. Der Jungrüde meiner Begegnung ließe sich also in die Pubertätsphase
einordnen - von Welpe schon lange keine Rede mehr!
Doch sichten wir einfach mal die Publikationen der Verhaltensforscher zur „echten“ Welpenzeit, die wir bis 3 Monate ansetzten. Hier finden wir immer wieder Berichte über getötete Welpen!
Töten eigener Welpen
Zunächst merzt die Mutterhündin selber Welpen aus, die einen „Webfehler“ besitzen. Manchmal nicht einmal vom kundigen Forscherauge bemerkt, scheinen hier neurale Störungen vorzuliegen, die sich
in einem abweichenden Verhalten bemerkbar machen. Diese Welpen im Interesse des Rudels zu töten, ist die Pflicht einer instinktsicheren Hündin. Rüden allerdings beteiligen sich selten daran. Sie
besitzen, im Gegensatz zur Hündin, ein deutlich generalisierteres Kindchenschema als Hündinnen, das einen mächtigen Pflege- und Beschützertrieb auslöst. In der Regel akzeptieren Rüden in dieser
Phase auch fremde Welpen. Zeigt der Rüde hier aber einen Instinktausfall, kann er für jeden Welpen zu einer ernsten Gefahr werden!
Welpenverteidigung
Die Hündin verteidigt nun tatsächlich in den ersten Wochen ihre intakten Welpen; zunächst gegen aufdringliche Rudelmitglieder, dann aber auch gegen Feinde. Nicht aber gegen übermächtige Gegner!
Eher gibt die Hündin ihre Welpen preis, als selber eine ernsthafte Verletzung zu riskieren. So wahrt sie ihre Chance auf weiteren Nachwuchs. Eine Hündin, die ihren eigenen Tod in Kauf nimmt, und
damit meist den nachfolgenden Tod ihrer Welpen, eliminiert sich selber aus der Evolution!
Alphahündinnen töten manchmal den Nachwuchs von Hündinnen ihres Rudels. Der evolutionäre Vorteil für sie liegt auf der Hand. Allerdings gibt es auch Fälle, wo sie sich rührend an der „Brutpflege“
anderer Welpen beteiligt. Dennoch ist ein Beispiel wie Zareena, die sich ganz selbstverständlich an der Pflege von Welpen anderer Sriyani-Mütter beteiligt - und von diesen gerne geduldet wird,
eher die Ausnahme.
Meine Sin-Da verjagte bei ihrem ersten Wurf nicht nur die Älteste, Annie, von der Wurfkiste, und zwar mit „Schmackes“! Genauso energisch vertrieb sie unsere Rudelchefin Blacky. Sonst vermeidet
Sin-Da es sorgfältig, sich ernstlich mit der Chefin anzulegen. Entsprechend verblüfft trat Blacky schleunigst den Rückzug an.
Fremde Welpen
Trumler und Zimen halten es für einen evolutionären Vorteil für Wölfinnen, fremde Welpen zu töten. In der Natur kommt das jedoch fast nie vor, weil die Welpenlager der Rudel sehr weit entfernt
sind. In den Forschungsstationen aber liegen die Territorien unmittelbar nebeneinander. So berichtet Trumler von Fällen, wo sich Hündinnen und Rüden mit geradezu wilder Aggression am Töten
fremder Welpen beteiligten, die sie an ihrer Reviergrenze erwischen konnten. Deren eigene Eltern trafen dabei keinerlei Anstalten, ihren Welpen zu helfen. Ein so dummer Welpe, der sein
Rudelterritorium verläßt, schlußfolgert Trumler, muß eliminiert werden.
Junge Hunde
Wie aber sieht es nun mit jungen Hunden ab dem Alter von 3 Monaten aus, im Übergang also vom Welpen zum Rudelgehilfen? Bei Zimens Königspudeln treffen sie auf eine festgefügte Rangordnung der
Rudelmitglieder, - viel starrer als bei Wölfen. Hier sind es Rangniedrigere, die manchmal tödliche Attacken auf die neuen Jungkonkurrenten starten. Trumler aber verweist auf den Anspruch der
Alttiere, von den Junghunden mit Respekt behandelt zu werden. Zurückhaltung bei der Begrüßung, Demutsgesten, selbst urinieren wie als Welpe gehören dazu. Dann behandeln instinktsichere Hunde, vor
allem Rüden, auch fremde Jungtiere freundlich und zeigen sich spielbereit. Ein Junghund aber, der stürmisch und unbesonnen auf einen fremden Althund eindringt, riskiert eine strenge
Maßregelung.
Ein vergleichbares Beispiel zeigte mir mein Rüde Terry noch vor kurzem. Im Freilauf zu Hause spielte er freundlich mit unseren neun Wochen alten Sin-Da-Welpen. 5 Wochen später trafen wir zufällig
beim Waldspaziergang auf die von mir besonders geliebte Hündin Bhrikuti (Prinzessin, jetzt leider Cindy geheißen), natürlich in Begleitung der neuen Besitzer. Ich weiß nicht, ob Cindy Terry
wiedererkannt hat, jedenfalls drang sie stürmisch auf ihn ein - so wie sie es sich bei ihren Nachbarhunden wohl ungestraft erlauben durfte. Doch Terry maßregelte sie sofort durch Aufreiten. Und
das, obwohl er sonst jedem „Weiberduft“ rutenwedelnd seine Zuneigung bekundet!
Diese aggressive Reaktion kann sich beim instinktsicheren Althund steigern, wenn der junge Hund dann keine angemessene Reaktion zeigt; vielleicht, weil er eine vernünftige Hundeetikette gar nicht
gelernt hat. Das kann dann fatale Folgen haben, wenn man den Jungen nicht entfernt. Der Althund begreift das Verhalten des „frechen“ Jungtieres nicht und kann mit erbitterter Aggression
reagieren. Nicht Hunde mit Instinktausfällen sind hier die Gefahr, diese zeigen sich oft toleranter gegen soziales Fehlverhalten, sondern die vermeintlichen „Paradehunde“. Trumler zeigt sogar ein
Beispiel, wo ein 7 Monate alter Jungrüde in einer sonst als ausgesprochen freundlich geltenden Familiengruppe totgebissen wurde. Der Altrüde wollte dem Jungen wohl lediglich deutlich machen, wer
der Herr im Hause ist. Seine drei Hündinnen beteiligten sich aber an dieser Demonstration, und das überlebte der Junghund nicht!
Zwei Klarstellungen
An dieser Stelle sind zwei Klarstellungen nötig. Zum einen berichten Trumler und Zimen keineswegs von „Massenmorden“ an Welpen und Junghunden. Gemessen an der Zahl der von ihnen betreuten Hunde
sind diese Fälle vielmehr eng begrenzt. Sie zeigen aber das evolutionäre Potential dafür auf.
Zum anderen wird der Begriff „instinktsicher“ bei Haushundrassen gerne, aber manchmal auch durchaus irrtümlich als „Qualitätsmerkmal“ verwendet. Das Besondere des Haushundes liegt aber gerade im
Instinktverlust gegenüber den Wolfsahnen. Nur das macht den Hund für den Menschen überhaupt handhabbar! Der Instinktverlust führt nämlich zu einem „plastischen“ Wesen des Hundes; er ist deutlich
lernfähiger im Hinblick auf veränderte Lebensumstände, wie sie die Menschenwelt mit sich bringt.
Laut Zimen weist der Königspudel im Vergleich zum Wolf nur noch 64% fast identischer Verhaltensweisen auf. 13% des Wolfsverhaltens hat er dagegen vollständig verloren, und 23% sind deutlich
verändert. Diese Ausfälle und Veränderungen treten genau in den Verhaltensgruppen auf, die für den Menschen wichtig und interessant sind: Bei Orientierung und Fluchtverhalten, Schutz und
Verteidigung, beim Jagen, aber auch dem Ausdrucksverhalten ( Mimik und Kommunikation).
Gefährlicher Instinktverlust
Eine gefährliche Variante des Instinktverlusts aber steuert Dr. Dorit bei. Kampfhunde von kriminell selektierenden Vermehrern weisen nicht etwa einen erhöhten Aggressionstrieb auf. Vielmehr
liegen die Ausfälle im Sozialverhalten. Ein Unterlegener ist nicht mehr in der Lage, Gesten der Unterwerfung und Demut zu zeigen, ein Überlegener vermag solche Gesten nicht mehr zu deuten - oder
reagiert nicht mehr darauf. Die Konsequenzen sind in beiden Fällen gleich schrecklich.
Fazit
Kommen wir zu einem Fazit. Der Begriff „Welpenschutz“ zeigt sich bei näherer Betrachtung als Fehlinformation und eher gefährlicher Mythos. Wenn überhaupt, dann läßt er sich als Schutz intakter
Welpen durch die Mutterhündin in den ersten Wochen gegen unterlegene Feinde, aber in den ersten Tagen auch gegen zudringliche Rudelmitglieder verstehen. Mehr nicht! Der ermittelte Sachstand
sollte jeden Hundebesitzer veranlassen, im Umgang mit fremden Hunden vorsichtig zu handeln. Auch dann, wenn er sich Mühe gegeben hat, seinen Hund im Zusammensein mit vielen anderen Artgenossen
Erfahrungen im gemeinsamen Umgang zu sammeln. Man trifft immer wieder Hunde - und deren Besitzer, die diese Voraussetzungen nicht mitbringen.
Woher rührt nun die Fehlinformation über den angeblichen Welpenschutz bei etlichen Besitzern junger Hunde? Verantwortlich dafür sind zweifellos beide: Inkompetente Züchter, die nichts dafür tun,
sich auf der Höhe des Kenntnisstandes in der Haustierforschung halten. Aber auch gleichgültige Welpenkäufer, denen es nicht der Mühe wert scheint, sich selber die nötigen Kenntnisse im Umgang mit
ihren Hunden anzueignen.
Erschreckend aber ist bei beiden der Mangel an Beobachtungsfähigkeit. Denn wer mit offenen Augen durch die Hundewelt geht, bedarf nicht der Publikationen von Trumler oder Zimen, um zu ähnlichen
Ergebnissen zu gelangen!
A.K.
Quellen:
E. Trumler: - Hunde ernst genommen
Mit dem Hund auf du
Ratgeber für den Hundefreund
Das Jahr des Hundes
E. Zimen: Der Hund